Der Weg nach Themiskyra


Amazonen waren für mich eigentlich ein eher langweiliges Thema, das bestenfalls für billige Fantasy-Filme und geschmacklose
Motorhauben-Airbrush-Motive geeignet war...
Sie wissen schon... nackte Frau auf Drachen, nackte Frau auf Dinosaurier,
nackte Frau auf Tiger usw
. Selbstverständlich war ich fest davon überzeugt - genau wie Sie - daß es sich bei den Amazonen
um schiere,
erotische Männerfantasien handelt, die jede halbwegs solide archäologische Grundlage vermissen lassen.
 
So war es dann auch purer Zufall, daß ich begann, mich mit diesem Thema näher zu beschäftigen:
Im Rahmen der Vorarbeiten zu einer Ölbild-Serie, in der Hasen in Rüstung gegen Amazonen kämpfen, entstand eine erhebliche Menge
Skizzen.
Irgendwann sagte ein Freund (Jörg), bei dem ich mich an dieser Stelle bedanken möchte:
 
"Wenn Du schon so viele Bilder zeichnest - mach´ doch einen Comic daraus."

Zunächst war ich davon nicht sonderlich begeistert. Amazonen gegen Hasen... was ließ sich daraus machen? Eine Persiflage über
kulturelle Unterschiede, nebst der Unfähigkeit, einander verstehen zu wollen? Eine latent pathetische Sozialkritik mit moralischem,
erhobenen Zeigefinger? Oder einfach nur witziger Slapstick mit maßlosen Übertreibungen? Klang alles ganz nett, war mir aber viel
zu dünn, um mir völlig zwanglos einen riesigen Haufen Arbeit aufzuhalsen.
Etwas fehlte... undzwar "die gute Sache"... ein echter Nutzen,
den jeder, der dieses Comic liest, daraus ziehen kann.


Die Idee, die diesem Anspruch gerecht wurde:
Amazonen boten die Möglichkeit, griechische Sagen und Mythen vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren. Es misfiel mir sets,
wie jahrtausende altes, unschätzbar wertvolles, menschliches Kulturgut vor allem durch die geradezu pathologisch verklemmte,
amerikanische Weltsicht - oder reinen Profit-Optimierungs-Wahn verdreht und bis zur Unkenntlichkeit verfälscht wurde.
Mit unverschämter
Selbstverständlichkeit nimmt sich heute jeder Drehbuch-Schreiber heraus, die faszinierendsten Werke, die die Menschheit hervorgebracht
hat, nach der jeweils aktuellen Großwetterlage umzuschreiben.


Aber ich will hier nicht nur auf eine Gruppe einschlagen:
In anderen Regionen der Erde gilt meine Abneigung vielen Vertretern diverser Religionen, die es zur Verbreitung ihres "einzig wahren"
Glaubens als zuträglich erachteten, die Vergangenheit des jeweiligen Landes so effektiv wie möglich auszulöschen. Als Beispiele fallen
mir da spontan der nahe Osten mit seiner ehemals wunderbaren Kultur im Rahmen des Zoroastrismus und Deutschland mit seinen
Bäume streichelnden, germanischen Wurzeln ein.


Haben wir als Menschheit denn ohne unsere Vergangenheit eine Zukunft?
Natürlich. Aber sie wäre um einiges ärmer.

Ich verfügte zwar schon über ein robustes Grundwissen über das griechische Altertum, doch ein Bisschen Vertiefung konnte ja nicht
schaden...
So ließ ich Wonder Woman, Xena, Red Sonja & Co. beiseite und begann, mich zunächst mittels Diodor, Homer, Quintus
Smyrnaeus, Hesiod, Apollonius von Rhodos und diversen, anderen Geschichts- & Geschichtenschreibern der Antike den Amazonen zu
nähern.


Schon dort viel mir auf, daß, vor allem in den älteren Werken sowie bei den reinen Geschichts-Protokollanten wie Diodor, das
vorgetragene Bild der Amazonen sich nicht mit meinen oberflächlichen Pop-Art-Eindrücken in Deckung bringen lies:
Da waren keine
wilden, Eins-Neunzig großen, halbnackten Blondinen mit Modelmaßen, die in nomadischen Reiterhorden durch die Steppe zogen, mit
Breitschwertern Monster erschlugen und Feuerbälle aus ihren Augen verschossen -
sondern normale Frauen, die Städte bauten, ein
Staatswesen und Kultur hatten, Religion ausübten und nicht öfter Krieg
führten als jede andere Nation sonst auch. Je nach Region
lebten sie entweder ganz normal mit Männern zusammen und pflegten lediglich ein Matriarchat, oder sie praktizierten Geschlechtertrennung,
die jedes Jahr von einer... ich weiß nicht, wie ich das sonst formulieren soll... 3-monatigen Dauerorgie unterbrochen wurde.


Alles in Allem klang das ziemlich unspektakulär. Ich war fast schon ein wenig enttäuscht...
Allerdings wich die Enttäuschung immer mehr ungläubigen Erstaunen, als ich feststellte, daß die Archäologie in den letzten Jahren ein
immer dichter werdendes Netz an Indizien aus dem Boden schaufelte, das diese garnichtmal so außergewöhnlichen Schilderungen der
griechischen Antike mittlerweile recht fest untermauert.


Mir wurde langsam klar, daß ich aus purem Zufall über eines der interessantesten und kontroversesten Themen gestolpert bin,
das unsere sich-als-aufgeklärt-betrachtende Gesellschaft zu bieten hat.

Denn die Amazonen waren längst nicht das einzige, erfolgreiche Matriarchat. So werden auch die Gorgonen (samt ihrer Königin Medusa)
von den antiken Geschichtsschreibern nicht als Schlangenmonster, die mit ihren Blicken Menschen in Stein verwandeln,
sondern eher als übliches Matriarchat beschrieben, über die, abgesehen von der Tatsache, daß die Frauen anstelle der Männer
in den Krieg zogen und in allen Belangen maßlos brutal vorgingen, nichts außergewöhnliches zu berichten wäre.

Die Wissenschaft ist sich seit einiger Zeit ebenfalls darüber einig, daß es sich auch bei der Minoischen Kultur um ein Matriarchat gehandelt hat.
Um das hier abzukürzen, bleibt die Erkenntnis, daß für eine geraume Zeit der menschlichen
Zivilisationsgeschichte
Matriarchat und Patriarchat recht gleich verbreitet waren.


Allerdings scheint es eine wirklich egalitäre Gesellschaft nie gegeben zu haben.
Mir drängt sich die Frage auf, woran es liegen mag, daß unser Zusammenleben stets auf einen Geschlechterkrieg hinauszulaufen scheint,
der ausgefochten und dann von irgendeiner Seite gewonnen wird...


Wir befinden uns heute zum ersten mal am Anfang eines Experiments, das beweisen soll, daß eine egalitäre Gesellschaft funktionieren kann.
Unsere Ausgangsposition ist denkbar schlecht:

Während eine Seite seit mehreren Jahrtausenden daran gewöhnt ist, geknechtet, unterdrückt und auf Äußerlichkeiten reduziert zu werden -
sich in dieser Situation auch gedanklich eingerichtet hat, ist die andere Seite daran gewöhnt, zu befehlen und sich alles hinterher tragen zu lassen...
und von Macht trennt man sich bekanntlich sehr ungern.


Davon ausgehend, haben wir in den vielleicht 30 Jahren, die gut 3000 Jahren fast ausschließlichen Patriarchats
gegenüberstehen, gewaltige Fortschritte erzielt.

...aber man darf auch keine Wunder erwarten:
Die Gleichberechtigung haben wir schon erzielt -
von der Gleichwertigkeit sind wir noch so weit entfernt, wie man nur sein kann.

Vielleicht muß eine Frau erst nach Themiskyra reisen, um sich ihrer Gleichwertigkeit wieder bewußt zu werden...